Kirche St. Martin Lagerlechfeld

Um den Fortbestand der Filialkirche St. Martin zu sichern, eines modernen Kirchenbaus auf dem 1965 noch wenig bebauten Lechfeld vom Architekten Helmut Haberbosch, war vor Ort ein Konzept entwickelt worden: In die Kirche sollte unter Beibehaltung eines dann verkleinerten Gottesdienstraums ein diözesanes Kunstdepot eingebaut werden.

Der realisierte Entwurf sieht eine horizontale Trennung der beiden Funktionen Depot und Gottesdienstraum vor, wobei die funktionalen und räumlichen Merkmale des Bestandsbaus für die Verteilung der Nutzungen ausschlaggebend waren. Durch den Einbau einer Decke im Traufpunkt des großen Satteldaches entsteht eine erdgeschossige, für eine Nutzung als Kunstdepot prädestinierte Fläche mit 800 qm.
Hingegen bleibt im neu geschaffenen Obergeschoss die ursprüngliche Entwurfsidee des lichtdurchfluteten „Zelt Gottes auf Erden“ vollkommen erhalten. Die nun notwendige, neue vertikale Erschließung als Hinführung in den Kirchenraum erfolgt über den Einbau einer Rotunde, in der sich die Treppe und ein Aufzug befinden. Der Hauptzugang zur Kirche bleibt bestehen. Der runde Einbau gliedert die Obergeschossfläche in einen nach Westen orientierten Gottesdienstraum für etwa 150 Personen und einen zweiten, rückliegenden Raum. Neben den Kreuzwegstationen findet sich hier in einer Einbuchtung ein neuer Aufstellort für die Marienfigur, schafft Ruhe und Intimität und lädt im offenen, hellen Raum zur inneren Einkehr, zum Gebet.

Dem Martinischen Teilungsgedanken und dem Motto der Kirchengemeinde „leben teilen – leben mitteilen“ folgend, sind alle baulichen Details um das Thema „Trennung & Begegnung, Neben- & Miteinander“ entwickelt. Die sakrale Ausstattung aus Naturstein, also Altar, Tabernakel und Taufstein, wurde aus dem Bestand ausgebaut, nach Konzeption des Künstlers Christian Hörl zerteilt und am neuen Ort neu zusammengefügt. Der Ort der Messe erhält mit einem transluzenten Retabel aus bedrucktem Plexiglas einen schützenden Hintergrund vor der Glasfassade. Das Licht als wesentlicher Gestaltgeber der Architektur schafft zu jeder Tages- und Jahreszeit neue Raumeindrücke.

Im Erdgeschoss findet sich neben dem Depot im ehemaligen Seitenschiff der Kirche ein zur Gartenfläche hin orientierter Saal mit Nebenräumen für die Pfarrei, der unabhängig genutzt werden kann. Die eindrückliche Installation „Lager Lechfeld 1944“ der Künstlerin Gabriele Schnitzenbaumer findet sich nun am Eingangsbereich der Kirche.

Wettbewerb 2016, 1. Preis

Das Projekt wurde 2022 in Zusammenarbeit mit Künstler Christian Hörl realisiert

Anerkennung beim thomaswechspreis 2025

Fotografie von Célia Uhalde

Jury-Beurteilung beim thomaswechspreis 2025

Was tun mit einer Kirche, die zu groß geworden ist für ihre Gemeinde, zu teuer im Unterhalt und zudem sanierungsbedürftig? Die Antwort, die der Umbau der Filialkirche St. Martin gibt, ist ebenso klug wie beispielhaft. Er wandelt ein überdimensioniertes Sakralgebäude der 1960er-Jahre in einen zukunftsfähigen, vielschichtigen Ort – ohne dessen Würde zu verlieren. Die architektonische Haltung ist klar: keine nostalgische Rückschau, sondern eine präzise Weiterentwicklung im Sinne des ursprünglichen Konzepts des heiligen Zelts. Die horizontale Teilung des Innenraums – eine radikale Geste – nutzt klug das Tragwerk des Bestands und schafft eine neue räumliche Ordnung.

Im Erdgeschoss entstehen helle, flexibel nutzbare Räume für Gemeindeaktivitäten, Begegnungen und Feste. Die zusätzliche Nutzung als Bau- und Kunstdepot unter dem neuen Kirchenboden ist ein stilles Statement. Hier werden sakrale Objekte bewahrt, die andernorts keine Heimat mehr haben. Ein Ort des Respekts – nicht museal, sondern lebendig. Die funktionale Verschränkung von Nutzung und Erinnerung sichert den Erhalt des Gebäudes und erzeugt nachhaltige Synergien, kulturell wie energetisch.

Der eingestellte zylindrische Kern übernimmt eine zentrale Funktion. Er kaschiert geschickt die notwendigen Nebenräume und inszeniert zugleich den Zugang zum liturgischen Handlungsraum im Obergeschoss als feierliches Emporsteigen. Diese räumliche Choreografie erzeugt eine wohltuende Distanz zur profanen Nutzung im Erdgeschoss, gliedert den Sakralraum und schafft im rückwärtigen Bereich eine kapellenartige Raumsituation als Rückzugsort für das stille Gebet, der die sakrale Sphäre subtil erweitert.

Gestalterisch überzeugt der Umbau durch feinsinnige Details und eine sorgfältig entwickelte Möblierung, die den Teilungsgedanken im neuen Altar, Ambo, Tabernakel und Taufstein fortführt. Diese schönen Objekte entstehen durch präzise geometrische Operationen aus den Kalksteinquadern der alten Ausstattung. Eine gelungene Transformation mit symbolischer Tiefe.

Die Filialkirche St. Martin ist ein gebautes Plädoyer für die Zukunftsfähigkeit sakraler Räume, die zeigt, wie aus einem sanierungsbedürftigen Bau ein identitätsstiftender Ort für Gemeinde, Kultur und Gedächtnis wird.

Jury: Sonja Nagel, Stuttgart / Brigit Rudacs, München / Armin Pedevilla, Bruneck